Vortrag vom 13. Ulmer Symposium Krankenhausinfektionen
26. März 2019Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Surveillance gem. § 23 IfSG und der Qualitätssicherung postoperativer Wundinfektionen durch das IQTIG
Patrick Ziech, Niedersächsischen Landesgesundheitsamt (NLGA)
Seit dem 01.01.2017 sind Krankenhäuser laut der „Richtlinie zur einrichtungs- und sektorenübergreifenden Qualitätssicherung“ (Qesü-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) verpflichtet, postoperative Wundinfektionen zu dokumentieren. Mit der Entwicklung und Durchführung dieser Qualitätssicherungsverfahren war das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) vom G-BA beauftragt worden.
Patrick Ziech vom Niedersächsischen Landesgesundheitsamt (NLGA) hat mit Herrn Dr. med. Christof Veit, dem Leiter des IQTIG, ein Interview zum Qualitätssicherungsverfahren postoperativer Wundinfektionen (QS WI) geführt. Darin hat Dr. Veit vor allem die Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Surveillance gemäß § 23 IfSG erläutert.
Frage NLGA (Ziech):
Sehr geehrter Herr Dr. Veit, bitte erklären Sie mir, was das QS-Verfahren „Vermeidung nosokomialer Infektionen – postoperative Wundinfektionen“ ist und welchen Zweck es verfolgt?
Antwort IQTIG (Veit):
Das Qualitätssicherungsverfahren „Vermeidung nosokomialer Infektionen – postoperative Wundinfektionen (QS WI)“ ist das zweite sektorenübergreifende Qualitätssicherungsverfahren der externen Qualitätssicherung (QS) und hat das Ziel, die Qualität der Maßnahmen ambulanter und stationärer Leistungserbringer zur Vermeidung nosokomialer Infektionen, insbesondere postoperativer Wundinfektionen, zu messen, vergleichend darzustellen und zu bewerten.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat das AQUA-Institut im Oktober 2011 mit der Entwicklung von Qualitätsindikatoren, Instrumenten und der damit verbundenen Dokumentation für ein sektorenübergreifendes Qualitätssicherungsverfahren zu diesem Thema beauftragt. Seit seiner Gründung am 9. Januar 2015 ist das IQTIG für die Durchführung der externen Qualitätssicherung im Gesundheitswesen zuständig (§ 137 a Abs. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) und somit auch für die Durchführung des QS-Verfahrens QS WI.
Frage NLGA (Ziech):
Welche Daten werden dafür erhoben und wer wertet diese aus?
Antwort IQTIG (Veit):
In Qualitätssicherungsverfahren QS WI werden Daten für Indikatoren zu nosokomialen postoperativen Wundinfektionen und zum Hygiene- und Infektionsmanagement erhoben. Dazu werden Daten aus drei verschiedenen Quellen genutzt:
- einer fallbezogenen QS-Dokumentation im Krankenhaus,
- Sozialdaten bei den Krankenkassen, darunter insbesondere Abrechnungsdaten und
- einer einrichtungsbezogenen QS-Dokumentation bei ambulanten und stationären Leistungserbringern
Über die fallbezogene QS-Dokumentation und die Sozialdaten bei den Krankenkassen werden Daten zur Berechnung der Indikatoren zu nosokomialen postoperativen Wundinfektionen nach sog. „Tracer-Eingriffen“ erhoben. Als Tracer-Eingriffe werden in diesem Verfahren diejenigen Eingriffe bezeichnet, die hinsichtlich sich ggf. entwickelnder nosokomialer postoperativer Wundinfektionen betrachtet werden. Die Informationen zu diesen Tracer-Eingriffen werden über die Sozialdaten bei den Krankenkassen erfasst – es ist keine manuelle Dokumentation notwendig. Über eine manuelle Dokumentation im Krankenhaus werden postoperative Wundinfektionen erfasst. Die manuelle Dokumentation wird dann ausgelöst, wenn Kodes oder Kodekombinationen für einen Fall dokumentiert werden, die eine tatsächlich vorliegende postoperative Wundinfektion ausreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. Die manuelle Dokumentation der Diagnose der postoperativen Wundinfektion ist notwendig, da es keine ausreichend spezifischen Kodes oder Kodekombinationen für postoperative Wundinfektionen gibt.
Bei den im Krankenhaus dokumentierten postoperativen Infektionen handelt es sich also sowohl um nosokomiale als auch um nicht nosokomiale Infektionen (abhängig vom zeitlichen Abstand zur zugehörigen Operation). Die Erfassung ist unabhängig davon ob die zugehörige Operation eine Tracer-Operation war oder nicht. Grund dafür ist, dass die Informationen zu ggf. vorangegangen Operationen und zeitlichem Abstand zur Infektion nicht regelmäßig im Krankenhaus vorliegen. Erst nach der Zusammenführung der Sozialdaten bei den Krankenkassen (insb. mit Informationen über Tracer-Eingriffe) mit den dokumentierten Informationen aus den Krankenhäusern (zu postoperativen Wundinfektionen) beim IQITG, wird ermittelt ob im Vorfeld der postoperativen Wundinfektion eine Tracer-Operation durchgeführt wurde und ob diese innerhalb des jeweiligen Nachbeobachtungszeitraums lag. Wenn dem so ist, ergibt sich jeweils ein Zählerfall für die Berechnung des Indikators.
Da postoperative Wundinfektionen in diesem Verfahren nur in Krankenhäusern erhoben werden, können auch nur die dort diagnostizierten Infektionen den zugehörigen Tracer-Operationen zugeordnet werden. Das bedeutet auch, dass Infektionen, die nach Tracer-Operationen durch niedergelassene Leistungserbringer entstehen, nur dann zugeordnet werden können, wenn sie in einem Krankenhaus diagnostiziert werden.
Über die einrichtungsbezogene QS-Dokumentation werden bei Einrichtungen, die Tracer-Operationen durchführen, einmal jährlich Daten für die Indikatoren zum Hygiene- und Infektionsmanagement erfasst.
Sämtliche Daten, die zur Berechnung der Indikatoren notwendig sind, werden an das IQTIG übermittelt und dort ausgewertet.
Frage NLGA (Ziech):
Worin unterscheiden sich Ihrer Meinung nach das QS-Verfahren WI und die Surveillance gem. § 23 IfSG?
Antwort IQTIG (Veit):
Gegenstand und Ziel des Verfahrens QS WI ist gemäß der Richtlinie des G-BA, in der dieses Verfahren begründet ist (Qesü-Richtlinie) die Vermeidung postoperativer Wundinfektionen. Das Verfahren soll insbesondere fachgebietsübergreifend die Qualität der Maßnahmen ambulanter und stationärer Leistungserbringerinnen und Leistungserbringer zur Vermeidung postoperativer Wundinfektionen messen, vergleichend darstellen und bewerten. Somit ergeben sich sowohl Überschneidungen mit der Surveillance nach §23 Abs. 4 IfSG, als auch Unterschiede. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass in QS und Surveillance nosokomiale postoperative Wundinfektionen erfasst werden. Surveillance ist jedoch in erster Linie ein Instrument der internen Qualitätssicherung. Unter anderem soll möglich sein, bei Bedarf schnell auf bestimmte Situationen reagieren zu können. Im Verfahren QS WI steht hingegen die vergleichende Darstellung der Qualität der Leistungserbringer im Vordergrund, die bei einem vertretbaren Aufwand ermöglicht werden soll. Zur Realisierung eines angemessenen Aufwands des Verfahrens werden Sozialdaten bei den Krankenkassen genutzt. Es ergeben sich unter anderem folgende Unterschiede:
Im Verfahren QS WI werden fallbezogene Daten ausschließlich zu postoperativen Wundinfektionen und definierten Operationen erfasst, sog. Tracer-Operationen. Das heißt, nicht sämtliche durch das RKI gemäß §23 Abs. 4 festgelegten nosokomialen Infektionen werden adressiert. Im Verfahren QS WI werden auch keine speziellen Resistenzen und Multiresistenzen und keine Daten zum Antibiotikaverbrauch erfasst. Weiterhin ist das Patientenkollektiv je nach Leistungserbringer mehr oder weniger eingeschränkt, da im QS-Verfahren QS WI keine Daten privat versicherter Patientinnen und Patienten erhoben werden. Grund dafür ist die Nutzung von Sozialdaten bei den Krankenkassen, die keine Daten privat versicherter Patienten enthalten. Ebenfalls aufgrund der Nutzung von Sozialdaten bei den Krankenkassen, liegen die Ergebnisse zum QS Verfahren QS WI liegen erst 2 Jahre nach dem Jahr vor, in dem die Daten erfasst werden. Eine zeitnahe Reaktion bei Hinweisen auf ein vermehrtes Auftreten von postoperativen WI nach durchgeführten Wundinfektionen ist somit nicht möglich.
Frage NLGA (Ziech):
Aufgrund der von Ihnen geschilderten Unterscheidungen kann man also nicht davon ausgehen, dass das QS Verfahren die Surveillance gem. § 23 IfSG ersetzt, oder?
Antwort IQTIG (Veit):
Aufgrund der geschilderten Unterschiede zwischen Surveillance und dem QS-Verfahren QS WI kann das Verfahren die gesetzlich verpflichtende Surveillance weder für ambulante noch für stationäre Leistungserbringer ersetzen.
Denkbar ist jedoch, dass die Infektionen, die im Krankenhaus für das Verfahren QS WI dokumentiert werden müssen, auch für die Surveillance in Krankenhäusern zu nutzen, um Doppeldokumentationen zu vermeiden. Dazu müsste für diese Infektionen jeweils geprüft werden, ob sie nach Operationen entstanden sind, die im selben Haus durchgeführt wurden oder nach Operationen, die bei anderen Leistungserbringern durchgeführt wurden. Die Infektionen, die nach Operationen im eigenen Haus entstanden sind, könnten mit den jeweiligen Operationen zusammengeführt und ausgewertet werden. So könnte eine prospektive Beobachtung von Patienten nach ausgewählten (Indikator-) Operationen ggf. entfallen. Bevor ein solches Vorgehen implementiert wird, sollte jedoch geprüft werden ob die Fälle, zu denen im Verfahren QS WI die manuelle Dokumentation ausgelöst wird, geeignet für ein solches Vorgehen sind oder ob Kodes ergänzt werden müssen. Anpassungsbedarf könnte z.B. bestehen, wenn Infektionen nach neurologischen Operationen betrachtet werden sollen. Im Verfahren QS WI sind keine neurologischen Operationen eingeschlossen, sodass Kodes, die auf postoperative Wundinfektionen nach solchen Operationen hinweisen, ggf. nicht zur Dokumentationspflicht führen und somit möglicherweise zu wenig Infektionen nach neurologischen Operationen erfasst werden würden. Grundsätzlich erscheint eine Anpassung der im Krankenhaus für die QS eingesetzte Software notwendig, wenn das QS-Verfahren auch zu Surveillance-Zwecken eingesetzt werden soll, wozu wiederum die Krankenhäuser selbst aktiv werden müssten. Bevor ein solches Vorgehen empfohlen werden kann, sollten jedoch die ersten Ergebnisse des QS-Verfahrens QS WI abgewartet und auf Validität geprüft werden. Aktuell kann keine genaue Aussage darüber getroffen werden, wie verlässlich mittels der QS-Dokumentation postoperative Wundinfektionen erfasst werden können.
Hinweis: Der Fachausschuss Infektionsschutz des Landesverbandes Niedersachsen der Ärztinnen und Ärzte des ÖGD e.V. hat in Zusammenarbeit mit dem NLGA eine Stellungnahme zu diesem Thema mit dem Titel „Warum ersetzt das Qualitätssicherungsverfahren des IQTIG nicht die Surveillance gemäß § 23 Infektionsschutzgesetz?“ verfasst und auf der der entsprechenden NLGA-Webseite veröffentlicht.